Die Traverse

Wie bringt man am effizientesten Material ins Innere der Antarktis?
Scott bereits versuchte sein Glück mit motorisierten Gefährten – er suchte nach einer Alternative zu seinen Ponies und Hunden. Seine Motoren kamen zwar nicht sehr weit – einige Kilometer übers Ross Ice Shelf – allerdings setzen wir heute auf ähnliche Hilfen.

Viel zu selten landen hier Flugzeuge (das größte ist eine Basler), je nach Wetter ist der Einsatz gefährlich und teuer. Sämtliches Equipment, Nahrungsvorräte, Treibstoff und Gepäck der Überwinterer wird also mithilfe einer Traverse von der antarktischen Küste quer über den Kontinent geliefert.

Von Cap Prud‘Homme (nahe Dumont d’Urville, der französischen Station an der antarktischen Küste), startet die Traverse zwei bis drei Mal im Sommer nach Dome C. 1993 hat das französische Antarktisprogramm zum ersten Mal damit Concordia erreicht, unter der technischen Leitung von Patrice Godon (Patrice Godon wird auch bezeichnet als derjenige Mensch, der die größte Distanz in der Antarktis zurückgelegt hat).

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Die erste Traverse des Sommers taucht am Horizont auf. Foto M.Giorgioni, ©PNRA

Auch die Russen verwenden Traversen (seit den 50er Jahren) um ihre Station Vostok zu versorgen. Eine amerikanische Traverse verbindet seit 2005 McMurdo mit der dritten permanenten Station innerhalb der Antarktis, Amundsen-Scott.

Eine Traverse besteht aus mehreren Schlittenzügen, jeder gezogen von einem Challenger Caterpillar: 320 PS, 7-18 km/h je nach Schnee und Wetter, eigens angepasst an Konditionen des antarktischen Hochplateaus.
Ganz vorne fährt ein Kassbohrer, um den Weg zu finden, zu ebnen und seitlich einen kleinen Schneewall zu erzeugen, damit man auf der Rückfahrt leichter vorankommt. Obwohl es niemals dunkel wird im antarktischen Sommer, haben die meisten Vehikel mächtige Scheinwerfer, um sich im Falle eines Whiteouts nicht zu verirren.

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Ein Challenger fährt voraus und zieht einen zweiten mittels dickem Seil, die beiden müssen in exakt demselben Tempo fahren. Foto C.Possnig, ©ESA/IPEV

Die Challenger ziehen Container diversen Inhalts auf Schlitten, banal gesagt. Zusätzlich zu Containern mit Treibstoff, Equipment und Nahrung gibt es auch ein living module, wo sich die Küche, das Satellitenradio und die Schlafplätze der Fahrer befinden, und ein Modul mit einer Werkstatt, einer Schneeschmelze und den Toiletten.

Die Crew zählt meistens 10 Leute, die Hälfte davon Mechaniker, und jeder sitzt am Steuer eines Gefährts. Circa 14 Stunden am Tag wird gefahren, wenn das Wetter es zulässt, das macht ca. 100 bis 120km am Tag.

Die Treibstoffversorgung der Traverse muss peinlich genau berechnet werden, um nicht irgendwo im nirgendwo plötzlich steckenzubleiben – so passiert bei einer Traverse nach Vostok vor Jahrzehnten, woraufhin alle Beteiligten verhungerten.

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Diesen Sommer gab es 2 Traversen nach Concordia, die erste braucht üblicherweise 12 bis 15 Tage bis zum Ziel. Foto M.Giorgioni, ©PNRA

Zwischen Cap Prud’Homme und Concordia muss die Traverse ca. 1100km zurücklegen. Es wird versucht, jedes Jahr exakt den gleichen Pfad zu folgen, dies gestaltet sich aber oft als schwierig: besonders während der ersten Traverse des Sommers haben Schneefall und katabatische Winde die Spur über den Winter verschwinden lassen. Die erste Hälfte der Strecke ist eher problematisch, hier ist es hügelig, im weichen Schnee kann man leicht steckenbleiben, es gibt Windsturme und es besteht die Gefahr, in eine Gletscherspalte zu fahren. Teilweise werden die gefährlichsten Areale vor dem Start mit einem Helikopter erkundet, eine seit langem bekannte Gegend ca. 200km von der Küste entfernt wird umfahren. Wenn die Traverse auf eine Gletscherspalte trifft, gibt es zwei Möglichkeiten: drum herum fahren oder mit Schnee zuschaufeln – beides zeitaufwendig.

Je weiter man nach Süden kommt, desto einfacher ist die Fahrt – keine Gletscherspalten mehr, der Schnee stabiler, der Weg einfacher zu finden.

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Die erste Traverse erreichte uns am 24. Dezember und brachte hauptsächlich Treibstoff für die Station (und Stress für unsre zwei Köche, die plötzlich ein Weihnachtsmenü für 10 mehr Menschen kochen mussten). Foto M.Giorgioni, ©PNRA

Beim Rückweg ist das einzige, was transportiert wird, unser Abfall. Dieser wird anschließend größtenteils per Schiff nach Australien oder teilweise auch bis nach Frankreich verfrachtet und dort recycelt. Es kann durchaus zwei Jahre dauern zwischen der Entstehung von Müll hier und der Endversorgung.

Die zweite, und für diesen Sommer letzte, Traverse erreicht uns Ende Jänner, kurz vor Abflug der letzten Sommerleute. Wir sind froh, dass diese noch hier sind, denn das Entladen ist harte Arbeit und jede Hilfe willkommen. Diesmal ist weiterer Treibstoff, unendlich viel Nahrung, viel Equipment für die Experimente und unser persönliches Gepäck dabei. Ein Container, der konstant auf +4°C gewärmt wird, ist speziell für Gepäck reserviert – trotzdem kontrolliert jeder sicherheitshalber als erstes die mitgebrachten Wein- und Whiskyflaschen auf Erfrierungen, und ich probiere einigermaßen nervös, ob mein Stagepiano den weiten Weg überlebt hat (ja, es hat).

Die Ankunft in Concordia schließlich muss toll sein – hier haben wir per Radio seit Tagen den Fortschritt der Traverse mitverfolgt. Kurz bevor sie in Sichtweite ist verständigt uns der Fahrer des ersten Vehikels, dass sie bald eintreffen – wir springen also begeistert auf Skidoos und Räder und fahren ihnen entgegen.

Beeindruckt stehen wir schließlich irgendwo in der weißen Wüste und sehen schneebedeckte Challenger an uns vorbeistampfen, einer nach dem anderen eine Reihe von Containern ziehend, und in jedem Cockpit ein neues, freundlich lächelndes Gesicht.

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Die Traverse am Ziel: Aufstellung vor Concordia. Foto M.Giorgioni, ©PNRA

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