Ein kleiner Ratgeber für die Quarantäne.

Einer meiner Concordia Crewkollegen, er befindet sich derzeit in Norditalien, schrieb mir: „Die Straßen sind leer, die Stadt ist still. Es ist wie Concordia, nur mit Bäumen – und mit weniger Menschen rundherum.“

Er meint das nicht negativ. Wie viele meiner Crew hat er die monatelange antarktische Isolation in positiver Erinnerung. 13 Monate habe ich gemeinsam mit zwölf Menschen in Concordia, einer kleinen Station inmitten der Antarktis, verbracht. Neun Monate davon in völliger Isolation, aufgrund von Kälte (-80°C), Dunkelheit (100 Tage ohne Sonnenschein) und starken Winden gibt es während es antarktischen Winters keine Möglichkeit, Concordia zu verlassen.

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9 Monate lang beschränkte sich die Welt auf 2 Türme und 13 Menschen: Concordia Station.

Wir hatten natürlich Zeit, uns auf diese Quarantäne-ähnliche Situation vorzubereiten. Jeder von uns absolvierte zuvor ein intensives Auswahlverfahren, um sicherzustellen, dass wir für derartige Situationen (vor allem die psychologischen Aspekte) bestens geeignet sind. Viele Bewerber scheitern an diesen Tests. Selbst nach all diesen Vorkehrungen war die Isolation nicht immer einfach. Es war eine Extremsituation, eine Herausforderung – aber auch eine sehr schöne Zeit. Wir hatten 13 Monate, um Erfahrungen zu sammeln, Fehler zu begehen und uns an den Umgang mit der Isolation zu gewöhnen. Die Auswirkungen auf einen selbst hängen ganz davon ab, wie man mit der Situation umgeht.

Aus aktuellem Anlass möchte ich ein paar meiner antarktischen Erkenntnisse und Bewältigungsstrategien teilen. Sie haben mein Leben in Concordia erleichtert – und besitzen dasselbe Potential bei Ihnen zuhause.

Vorneweg: Ich bin keine Psychiaterin. Die Ratschläge, die ich Ihnen auf den folgenden Seiten gebe, sind Erfahrungen, die von Menschen in Extremsituationen gesammelt wurden. Astronauten, U-Bootmannschaften, isolierte Militäreinheiten, Expeditionsteilnehmer in den entlegensten Gebieten der Erde nutzen sie, um  ihre Zeit produktiver und glücklicher zu verbringen. Auch Sie können in der Heimquarantäne davon profitieren.

Denn die Situationen sind nicht so unterschiedlich. Wie viele Menschen derzeit in Europa mussten wir uns in der Antarktis an ungewöhnliche Bedingungen anpassen. Wir mussten täglich mit einem Gefühl der Bedrohung, Gefahr und Ungewissheit umgehen. Wir waren der Monotonie ausgeliefert, kämpften gegen Langeweile, Motivationsverlust und depressive Verstimmungen. Wir waren eingesperrt mit einem kleinen Grüppchen an Menschen, die wir sehr rasch näher kennenlernten, als wir vielleicht wollten – während unsere Freunde und Familien tausende Kilometer entfernt lebten.

Es folgen allerlei Tipps. Hier eine kurze Übersicht, genaueres zu jedem Thema weiter unten:

Starten Sie beschwingt in den Tag. Und erhalten Sie sich dieses Gefühl.
Im Rhythmus bleiben. Der erste Schritt, um sich auf die Quarantäne gut einzustellen.

So viele Stunden, so viele Möglichkeiten. Einen Zeitplan zu erstellen hilft. Probieren Sie es aus.

Neue Fertigkeiten lernen. Langeweile, Monotonie? Kämpfen Sie dagegen. Diese Bewältigungsstrategien und Copingmechanismen helfen dabei.

Sie können die Wohnung nicht verlassen? Ihre Phantasie schon. Lesen Sie ein Buch, lassen Sie sich in andere Welten entführen.

Duschen? Ein T-Shirt anziehen? Ja, bitte! Machen Sie es anders als Scott: Achten Sie auf körperliche Hygiene.
Bewegen Sie sich. Verbessern Sie damit Stimmung, Stresslevel, Körpergefühl und Schlafqualität.
Mahlzeit! Überraschen Sie jemanden – oder sich selbst – mit einem Candlelight Dinner, einer gewagten Torte, einem fruchtigen Cocktail.
Reden Sie darüber. Eine kleine Hilfe zum Zusammenleben in Zeiten der Quarantäne.
Die eigene kleine Höhle. Schaffen Sie Raum für Rückzüge.
Bleiben Sie in Kontakt. Wie man mit dem Abstand zu Freunden und Familie umgeht.
Und täglich wieder… Stimmungstiefs und Motivationsverluste sind normal. Auf lange Zeit gesehen hat eine Isolationssituation jedoch meistens positive Auswirkungen auf die Psyche.

Starten Sie beschwingt in den Tag.

Wie man seinen Tag beginnt hat große Auswirkungen auf die folgenden Stunden. Starten Sie mit etwas Produktivem. Der Elan bleibt Ihnen den Rest des Tages erhalten. Widerstehen Sie der Versuchung, die Morgenstunden auf facebook, twitter oder in Zeitungsartikeln zu verbringen.

Im Rhythmus bleiben.

In Heimquarantäne ist die Versuchung groß, immer später ins Bett zu gehen, und immer später aufzustehen. Widerstehen Sie ihr. Um im Homeoffice produktiv zu sein, und sich etwas „Normalität“ zu erhalten, ist es günstig, den üblichen Tag/Nacht Rhythmus beizubehalten. Bedenken Sie, dass man einige Tage braucht, um sich an die neue Situation anzupassen. Eine Routine zu etablieren, kann dabei behilflich sein.

So viele Stunden, so viele Möglichkeiten.

Es ist einer der wichtigsten Ratschläge, ob Sie nun von zuhause arbeiten, oder Ihre Freizeit gestalten möchten. Verbringt man den Großteil eines Tages in der eigenen Wohnung, ist es nur zu einfach, in unproduktive Angewohnheiten zu verfallen. Darum habe ich in Concordia für jede Woche einen Zeitplan erstellt.
Jeden Sonntagabend habe ich eingetragen, was für die kommende Woche geplant war. Wobei man das natürlich auch am Abend für den Tag darauf erledigen kann. Jeder Tag wird in 30 Minuten Takte unterteilt, darin dann festgehalten, was wann erledigt wird.

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Ein Beispiel eines Concordia Tages.

Das Excel Dokument lässt sich hier herunterladen: draft wochenplan – und auch gleich für den persönlichen Gebrauch verändern. Ich hoffe, Sie können in Ihrem Plan den Part mit der Blutabnahme weglassen.

 

 

 

Nachdem ich die Vormittage entweder im Labor oder in unserem Soyuzsimulator verbracht habe, haben sich primär die Nachmittage voneinander unterschieden. Jeder Tag sieht ein bisschen anderes aus.

Hilfreich für die Einhaltung war, mir einen Wecker oder Timer zu stellen – so kann ich mich voll und ganz auf die Aufgabe konzentrieren, ohne permanent auf eine Uhr zu schielen. Sollte eine Aufgabe mehr Zeit in Anspruch nehmen, kann der Plan natürlich adaptiert werden.

Wichtig ist, dass es ein Zeitplan bleibt – es ist keine To-Do-Liste. Für das Leben in Isolation war das eine hervorragende Motivation, um geplante Aufgaben auch tatsächlich zu erledigen. Man gewinnt ein gewisses Gefühl der Kontrolle, und die konsistente Struktur der einzelnen Tage hilft, Ungewissheit zu reduzieren. Dazu gibt es ein befriedigendes Gefühl, wenn man am Sonntag auf die Woche zurückblickt und die geleistete Arbeit einer Woche vor sich sieht.

Mit was füllt man nun diesen Zeitplan? Nutzen Sie all die Stunden, die Sie plötzlich zur Verfügung haben. Die Quarantäne kann in eine Spirale an frustrierenden Internetrecherchen, Serien-Binge-Watching oder zu dunklen Gedankenwelten führen – sie kann aber auch zu einer Zeit werden, in der Sie eine neue Fähigkeit gelernt haben, neue Talente entdecken, endlich eine lange gehütete Leidenschaft ausleben. Langeweile, Monotonie und Frustration müssen nicht sein. Die Isolationssituation eignet sich hervorragend, um

Neue Fertigkeiten zu lernen.

Sei es das Spielen eines Musikinstruments, eine Verbesserung der Zeichnen-Skills, endlich beginnen, dieses Buch zu schreiben, statistische Rechenmodelle zu verstehen oder eine neue Sprache zu erlernen – es gibt unzählige Möglichkeiten und die zusätzliche Zeit, die in Isolation gewonnen wird, lässt sich bestens dafür nutzen. Eine Leidenschaft zu finden, ein Projekt, dem man sich täglich hingeben kann, hilft es, die Gemütslage aufzulockern. Jedes kleine Erfolgserlebnis motiviert.
Damit meine ich Hobbies abseits von Bildschirmen, abseits von Social Media. Besondere Freude habe ich daran, etwas zu erschaffen – also Fähigkeiten zu erlernen, die Fingerfertigkeit verlangen. Gemeinsam mit zwei Kollegen haben wir in Concordia zum Beispiel eine Kletterwand gebaut und gelernt wie man schweißt, Kopfstände macht und waghalsige italienische Torten elegant mit Fondant verziert.

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Coline und Rémi üben sich in kreativen Torten. Die ganze Crew profitiert.

Vielleicht haben Sie bereits eine Projektidee im Kopf. Für alle, die noch nach Inspirationen suchen, habe ich Vorschläge gesammelt:

  • Bei Ihnen zuhause ist der Bau einer Kletterwand vielleicht keine Option. Auch aus Rücksicht würde ich die Auswahl der Hobbies einschränken, es sei denn, Sie leben in einer einsamen Berghütte. Ansonsten ist es eher nicht der ideale Zeitpunkt, um Saxophon zu lernen oder sich einer neu gefundenen Bohrleidenschaft hinzugeben. Hingegen sind eine Ukulele oder eine Mundharmonika günstig in der Anschaffung, nachbarfreundlich vom Lärmpegel und dank unzähliger Tutorials relativ leicht zu erlernen. Viele lokale Musikgeschäfte bieten zudem online Zustellungen an.
  • Ein paar meiner Kollegen fanden ihre innere Ruhe beim Häkeln und Stricken. Positiver Nebeneffekt: Die diesjährigen Weihnachtsgeschenke sind durch Socken, Hauben und Schals gesichert.
  • Erfahrungsgemäß sind die Bücher der „für Dummies“ Reihe leicht verständlich und helfen zu einem raschen Einstieg, das gilt vor Allem für Musikinstrumente. Auch Youtube hilft mit Tutorials, und viele Musik oder Gesangslehrer bieten Unterricht über Skype.
  • Für alle, die ihre Zeichenkünste aus dem Winterschlaf wecken möchten, empfehle ich „You can draw in 30 days“. Zu dem Buch gibt es auch eine Youtube-Playlist. Ein Test unter den Concordiabewohnern ergab, dass der Titel hält, was er verspricht – beinahe jeder kann mit diesen Anleitungen zeichnen.
  • Schreiben Sie. Vielleicht ist jetzt der Moment, Ihre Romanidee niederzuschreiben? Wenn es etwas kürzeres sein soll: Schreiben Sie einen Blog. Schreiben Sie Tagebuch – das hilft, die Tage von einander zu unterscheiden, sich später besser daran zu erinnern, und auch, sich selbst ein wenig „von außen“ zu sehen.
  • Eine neue Sprache lernen, eine bereits gelernte auffrischen: Die Langenscheidt Reihe „Sprachkurs für Faule“ ist ein angenehmer Weg dorthin. Für tieferes Wissen empfehle ich die Assimil Bücher, sie bildeten die beliebtesten Lernunterlagen der DC14 Crew – können also auch in sauerstoffarmen Verhältnissen Wissen vermitteln.
  • Schreiben Sie Drehbücher für kurze Filme – und drehen Sie ebendiese auch. Teilen Sie Sie mit ihren Mitmenschen!
  • Vertiefen und verbessern Sie Fähigkeiten oder Talente, die Sie bereits haben.
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Dem Klempner beim Säubern des Abwassertanks behilflich sein: Auch eine Abwechslung in der Monotonie.

Lesen Sie.

Die schönste Art, der Realität zu entfliehen. Und den eigenen Gedanken ebenso. Sie sind ständig von den gleichen vier Wänden umgeben, können nicht nach draußen – Ihre Phantasie aber schon. Lassen Sie sich von einem guten Roman in andere Welten entführen.

Sollten Sie dafür motiviert sein, können Sie mit einer klugen Buchauswahl wiederum etwas Neues lernen:

Allgemeinwissen? Bill Brysons Bücher sind unterhaltsam und kurzweilig (Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge , Eine kurze Geschichte von fast Allem )

Konzentriertes Arbeiten und digital Declutter gesucht? Cal Newports Bücher sind Gold wert (zum Beispiel hier. Der Herr hat auch einen interessanten Blog: https://www.calnewport.com/blog/)

Ein ganzer Planet in Quarantäne-ähnlichen Zuständen: Die „Mars Trilogie“ (Roter, Grüner, Blauer Mars) von Kim Stanley Robinson ist hinsichtlich zukünftiger Weltraum-Explorationen sehr realistisch geschrieben.

Sehnsucht nach noch mehr Isolation, dazu Kälte und Dunkelheit? The Worst Journey in the World und andere Reiseberichte der frühen (Antarktis)expeditionen geben eine andere Perspektive.

Wer mehr über die Psychologie von Menschen in Extremer Umgebung – und somit Isolation – wissen möchte, dem empfehle ich die Werke von Jack Stuster (Bold Endeavours) und die Studien von Lawrence A. Palinkas.

Zur Unterstützung verlinke ich hier hauptsächlich zur Website einer Buchhandlung in meiner Geburtsstadt. Lokale Buchhandlungen liefern außerdem derzeit oft schneller als Amazon. Viele Bücher lassen sich auch gebraucht über Antiquariate (und dadurch deutlich günstiger) finden und liefern (zum Beispiel hier).

Als Abwechslung ab und zu einen guten Film anzusehen ist natürlich möglich.

Duschen? Ein T-Shirt anziehen? Ja, bitte!

Es ist leichter denn je, in Höhlenmensch-ähnliche Zustände zu verfallen. Wozu Duschen, Haare bürsten, rasieren oder die Wäsche waschen, wenn man ohnehin nicht vor die Türe tritt? Man könnte ja auch im Pyjama Homeoffice machen.

Könnte man. Macht es aber schwieriger. Tatsächlich ist ein großes Problem in Isolationsmissionen, dass meistens einer oder eine dabei ist, die sobald es ernst wird persönliche Hygieneangewohnheiten als unnötigen Ballast über Bord werfen.

Mit dieser Vorgehensweise beeinträchtigt man sich selbst. Persönliche Hygiene beizubehalten steigert sowohl Wohlgefühl als auch Selbstwertgefühl – und wirkt sich positiv auf die Beziehung zu den Mitbewohnern aus. Die Konzentration auf die Arbeit fällt einfacher, schlüpfen Sie – wie gewohnt – in (bequemes) Arbeitsgewand und setzen sich an einen Schreibtisch (statt auf dem Sofa zu liegen). Auch bewirkt es eine Unterteilung zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“.

Nachdem die meisten Menschen derzeit zuhause sitzen, haben wir die Möglichkeit, das zu tun. Versuchen Sie, den Alltag der frühen Antarktisexpeditionen möglichst zu vermeiden:

1912, mit Robert Falcon Scott auf dem Weg zum Südpol, schrieb William Lashly  in sein Tagebuch:

„Mr Evans und ich sind nun 100 Tage unterwegs. Ich musste mein Shirt wieder wenden. Das ist die letzte saubere Seite, die ich habe. Zwei Shirts habe ich mitgebracht, und jede Seite hat nun ihre Pflicht an meiner Haut getan, nachdem ich sie einmal im Monat umdrehe. Das ist ein großer Gewinn, bei dem Punkt sind wir uns alle einig.“

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Isoliert (für 2 Jahre) in Scotts Terra Nova Hütte an der antarktischen Küste. Der Geruch ist nicht überliefert.

Zähmen Sie Ihre Internetgewohnheiten.

In Concordia hat uns der Abstand zu Internet und Smartphones geholfen. Die Versuchung war nicht groß: Internet gab es nur auf drei Computern, und das nervenzerreibend langsam (512kb/s, um genau zu sein). Wenn also ein Kollege an einem der anderen Computer saß und sich Bilder von Palmenstränden ansah, konnte man noch so oft auf das E-Mail klicken, es rührte sich nichts. Auch am Smartphone gab es kein Internet.

Mit den abwesenden Ablenkungen von Handys (bald irgendwo unter einem Papierstapel vergessen) und Internet ergeben sich plötzlich völlig ungeahnte Möglichkeiten. Trotz Sauerstoffmangel war es viel einfacher, sich mit vollem Fokus einer Sache hinzugeben. Der Druck, ständig erreichbar zu sein, fiel weg, und hinterließ eine gewisse Ruhe.

Sitzt man zuhause herum ist die Versuchung, in den Tiefen des Internets zu versinken, oder alle paar Minuten auf sein Handy zu starren, natürlich groß. Auch hier kann der Zeitplan Abhilfe schaffen: Fix (und spärlich) Zeiträume einplanen, an denen gewisse Websites oder Textnachrichten abgerufen werden. Zu allen anderen Zeitpunkten: ignorieren. Die Konzentrationsfähigkeit wird gesteigert, Verunsicherungen durch Nachrichten vermindert. Auch hierfür gibt es ein nettes Buch von Cal Newport („Digitaler Minimalismus“).

Bewegen Sie sich.

Regelmäßiger Sport wurde in Concordia für mich zu einem Fixpunkt. Mindestens vier Mal in der Woche besuchte ich den Fitnessraum um ein Krafttrainingsprogramm zu absolvieren. Das war nötig, um in der Enge der Station körperlich fit zu bleiben. Zudem half mir die Bewegung, die Perspektive zu wechseln – den ständigen Stress abzubauen, ruhiger und zufriedener zu werden. Überdies versuchte ich, wann immer es zeitlich möglich war, nach draußen zu gehen. Einer der angenehmsten Momente des Tages war es, vor die Tür in die Kälte zu treten. Selbst kurze Spaziergänge – den Blick am Horizont, antarktische Kälte in der Lunge, knirschender Schnee unter den Füßen, die Milchstraße über dem Kopf, das Gefühl, kurz völlig alleine zu sein – hellten meine Stimmung enorm auf. Eine kurze Laufrunde umso mehr, das würde ich unter -40 °C allerdings nicht mehr empfehlen.

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Der Blick auf den Horizont verändert die Perspektive.

Selbst, wenn man nicht die Möglichkeit hat, für Spaziergänge oder Jogging nach draußen zu gehen – in den eigenen vier Wänden lässt sich so einiges machen: Für Yoga, Zumba, Pilates oder einfaches Dehnen braucht man nicht viel Platz. Krafttraining ist auch ohne Equipment möglich – wenn man Mitbewohner hat lässt sich je nach deren Gewicht (und deren Virusstatus) auch dieses gut einsetzen. Alternativ: ein Rucksack voll mit den gehamsterten Reis- und Nudelpackungen erhöht das Eigengewicht. Youtube bietet auch hier unzählige Anleitungen.

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Einer läuft, die anderen schauen zu. Gemeinsam ist es eben noch schöner.

Sport hilft auch der Schlafqualität: Bewegt man sich nicht viel, fehlt am Abend die akkumulierte Müdigkeit. Das wiederum kann Einschlafstörungen hervorrufen, und den nächsten Isolationstag noch unangenehmer machen.

Gutes Essen

boostet die Moral. Das muss nicht jeden Tag aufwendig betrieben werden. Vielleicht haben Sie eine Lieblingsspeise, die Sie nie zuvor selbst hergestellt haben? In Concordia veranstalteten wir des Öfteren am Samstag ein spezielles Dinner. Tage davor wurden Pläne geschmiedet, eine Menüfolge überlegt, Tischdekorationen gesucht. Die Vorfreude war deutlich zu spüren. Ob Candlelight Dinner, Kostümabend oder ein kaltes Buffet – nichts hat die Gruppe so sehr zusammengeschweißt und uns so sehr aus der Monotonie der Isolation gerissen, wie gemeinsames Kochen und Essen.

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Mit einem guten Rezept gelingt auch das Abendessen besser.

Reden wir darüber.

In der Quarantäne kann man dem Ehepartner, der Freundin/dem Freund, seinen Mitbewohnern nicht mehr einfach aus dem Weg gehen. Sie befürchten, plötzlich deren wahres Gesicht zu sehen? Seien Sie beruhigt. Eine Extremsituation wie diese verändert das Verhalten.

Auch in Concordia war der Umgang mit meinen Crewkollegen eine der größten Herausforderungen der antarktischen Isolationssituation. Bereits nach wenigen Wochen kannte ich jeden Witz, jede Anekdote, jede lustige Kindheitserinnerung meiner zwölf Crewkollegen. Dazu ist die Station nicht besonders groß, aber hellhörig. Concordia kennt keine Geheimnisse. Man kommt sich also sehr nahe. Und auch unter uns 13 – immerhin ausgewählt für unsere Anpassungsfähigkeit – waren deutliche Unterschiede bemerkbar, wie wir mit der Situation umgingen. Manche gut, einige weniger gut, niemand perfekt. Bei so viel Nähe entstehen auch rasch Spannungen untereinander. Dinge, die im Alltag belanglos wären, haben in Isolation plötzlich großes Konfliktpotential. Kleine Angewohnheiten – im Wohnzimmer ein Chaos zu hinterlassen, die Teetasse nicht abzuwaschen, den Schokoladenvorrat aufzuessen – können nun Sie und Ihre Mitbewohner in den Wahnsinn treiben.

Ein paar Regeln zum friedlichen Miteinander:

  • Diese Konflikte zu scheuen, Spannungen zu ignorieren, macht die Situation stetig schlimmer. Je früher Sie etwas ansprechen, desto schneller können Sie daran arbeiten, desto weniger belastend wirkt die Sache, und desto kleiner das Risiko einer Eskalation. Also: Wenn Sie etwas aufregt, eine Angewohnheit stört, informieren Sie die betroffene Person darüber. Reden Sie offen, freundlich und ehrlich miteinander.
  • Seien Sie Ihren Mitmenschen gegenüber tolerant, und geben Sie sich Mühe, Ihr eigenes Verhalten für andere erträglich zu gestalten. Selbstbeherrschung ist gefragt, um Konflikte zu minimieren.
  • Denken Sie daran, dass Sie vielleicht auch selbst derjenige sind, der mit der Situation nicht perfekt umgehen kann. Das ist okay. Der Umgang mit der Isolation kann erlernt werden.
  • Planen Sie gemeinsame Aktivitäten. Kochen, ein Spieleabend, ein gemeinsamer Film – fördern Sie die schönen Seiten des Zusammenlebens.
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Kerzenlicht Dinner mit Kabarett stärken die Gruppendynamik.
  • Schaffen Sie sich:

Ihre eigene kleine Höhle.

Das ist ein besonders wichtiger Punkt: der persönliche Rückzugsort. In Concordia waren das unsere Schlafzimmer – kleine Räume mit einem Bett, zwei Kästen, einem Schreibtisch, einem Fenster mit Blick auf den weißen Horizont. Und der Vereinbarung: Niemand betritt unerlaubt die Zimmer der anderen. Will sich jemand für einige Stunden zurückziehen, kann er das auch ungestört tun. Schließt man die Türe, schließt man auch die Welt davor aus. Was manchmal nötig war, um bei Verstand zu bleiben. Sich zurückzuziehen ist gesund, solange es nicht exzessiv betrieben wird. Richten Sie sich einen ähnlichen Ort ein. Vielleicht haben Sie nicht genug Raum, um eine Tür hinter sich schließen zu können, vielleicht können Sie eine Ecke des Wohnzimmers verwandeln. Wichtig ist, dass allen klar ist: hier wollen Sie nicht gestört werden. Im Anschluss schätzt man auch seine Mitbewohner wieder mehr.

Bleiben Sie in Kontakt.

Getrennt zu sein von Freunden und Familie kann während der Isolation besonders belastend wirken. Denken Sie daran, wenn Sie nach einem Tag, den Sie völlig alleine verbringen mussten, in Traurigkeit versinken: Nichts heitert so sehr auf, wie ein Telefonat mit einer guten Freundin, einem guten Freund. Ich schreibe bewusst von einem Gespräch – Geschriebenes (SMS, E-Mails) ist weit davon entfernt, einen ähnlich positiven Effekt zu bieten.

Während die unzähligen Kontaktmöglichkeiten, die uns zu Verfügung stehen, die Kommunikation mit den Abwesenden erleichtern, kann ein Zuviel auch negative Auswirkungen mit sich bringen.  Einen Zeitrahmen zu vereinbaren, zu dem Anrufe bzw. Textnachrichten für alle Beteiligten günstig sind, hilft es, Enttäuschungen zu vermeiden, und vermindert Ablenkungen den restlichen Tag.

Auch die Inhalte von Telefongesprächen haben Auswirkungen auf die Stimmung – die eigene und die des Gesprächspartners. Neben Sorgen ebenso Positives zu besprechen kann die Stimmung auflockern. Eine freundliche Stimme zu hören oder ein Lächeln zu sehen wirkte auch in antarktischer Kälte oft Wunder.

Und täglich grüßt das Virus.

Phasen getrübter Stimmung oder Motivationsverlust sind beinahe unvermeidbar. Das ist normal und es ist gut, sich dessen bewusst zu sein: Es wird bessere und schlechtere Tage geben. Um es mit einer concordianischen Redewendung zu sagen: Es gibt Tage, an denen man draußen nur die Dunkelheit sieht, und Tage, an denen man die Sterne bemerkt.

Wichtig ist es, in der Gegenwart zu bleiben. Die Herausforderung in kleine Teile brechen und sich auf die wichtigsten, machbaren, und direkt vor sich liegenden Aufgaben fokussieren. Was kann ich in dieser Stunde, an diesem Tag, in dieser Woche tun? Jeder Tag, den man gemeistert hat, steigert auch das Selbstbewusstsein, das Gefühl: Ich kann mit dieser Situation umgehen.

Ich hoffe, der eine der andere Ratschlag hilft Ihnen weiter. Ich freue mich, von Ihrer Erfahrung zu hören – hinterlassen Sie einen Kommentar oder schreiben Sie mir!

Alles Gute!

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Nach neun Monaten Isolation immer noch vereint: die DC14 Crew.

7 Gedanken zu “Ein kleiner Ratgeber für die Quarantäne.

  1. Peter Geffert

    Liebe Carmen, ein ganz liebes Dankeschön für diesen tollen Blog Eintrag. Ich wohne in Südhessen (Deutschland, zwischen Darmstadt und Heidelberg). Ich erwähne das deshalb weil in meiner näheren Umgebung gleich vier Bundesländer liegen, jeweils mit unterschiedlichen behördlichen Auflage, man weiss manchmal nicht mehr was nun gilt und insbesondere was wichtig ist. Man fährt oder läuft durch eine gut bekannte Stadt und doch ist alles ganz anders. Wichtig ist 2m Abstand zum Nebenmann bzw. -frau halten, das ist natürlich ganz klar. Trotzdem ist da immer das beklemmende Gefühl sich anstecken zu können, auch wenn es unwahrscheinlich ist. Meistens sitze ich aber Zuhause und manchmal fällt mir die Decke auf den Kopf. Man möchte ausbrechen aber man kann dem Virus nicht entfliehen. Dein Blog kann in dieser üblen Lage sehr sehr hilfreich sein. Kleine Tips für den Virus-Alltag, einfach Mal abschalten, virtuell in andere Welten eintauchen und Hilfsmittel den Alltag besser zu verkraften. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße an alle die das Lesen Peter
    PS: Kann ich den Text an Freunde weitergeben?

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    1. Lieber Dr. Pohl,
      freut mich sehr, dass mein Buch Ihnen gefallen hat!
      Es sind noch nicht alle Forschungsergebnisse veröffentlicht – wegen der kleinen Probandenzahl werden viele Experimente über mehrere Winter geführt, teilweise warten wir also noch auf Daten. Erste Ergebnisse des SIMSKILL Experiments (Raumschiffsimulator) können Sie hier nachlesen:
      https://www.researchgate.net/publication/346216947_Assessment_of_the_effects_of_isolation_confinement_and_hypoxia_on_space-flight_piloting_performance_for_future_space_missions_-The_SIMSKILL_experiment_in_Antarctica

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  2. Christine Opara

    Liebe Carmen Possnig,
    ein sehr gut nachzuvollziehendes Buch ist Ihnen gelungen, habe es mit großer Begeisterung gelesen. Am Ende allerdings fand ich es ebenso sehr traurig wie Sie, als Sie die Concordia verlassen mussten…Würden Sie denn – vom heutigen Standpunkt aus- nochmals, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergäbe, an einer „Überwinterung“ teilnehmen? Ich glaube, ich würde es tun! Viele Grüße aus Berlin – von Christine Opara

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    1. Liebe Christine,
      schön, dass Sie Spaß beim Lesen hatten und toll, dass Sie sich vorstellen können, eine Überwinterung zu wagen (bewerben Sie sich doch, Deutschland hat zB die Neumayer Station)! Ich würde auf jeden Fall noch einmal Überwintern. Gerne wieder in Concordia, aber auch eine Küstenstation mit mehr Leben würde mich reizen. In Dumont d’Urville Station verbringt man ein Jahr unter Pinguinen, das wäre faszinierend!
      Liebe Grüße,
      Carmen

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  3. Liebe Carmen,
    ich habe Ihr Interview bei Alpha-Thema „Wettlauf zum Mars“ gesehen und mir danach sofort Ihr Buch gekauft. Ich bin total begeistert davon, weil ich durch Ihren authentischen Schreibstil quasi auch ein Jahr auf Concordia verbracht habe, so lebensnah sind Ihre Schilderungen. Noch Tage danach habe ich darüber nachgedacht und kann Ihre Faszination für die Antarktis gut nachvollziehen, weil es auch meine Empfindungen sind. Ich werde Ihr Buch noch einmal lesen. Vielen lieben Dank,
    Joachim Schell

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